Wer aufmerksam durch das Elsass reist, der wird feststellen, dass eine Vielzahl von Straßen und Schulen den Namen eines gewissen Capitaine Dreyfus trägt. Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung, da Alfred Dreyfus 1894 wegen Landesverrats verurteilt worden war.
Alfred Dreyfus stammte aus Mulhouse (elsässisch: Milhüsa, dt. Mülhausen). Sein Vater war ein jüdischer Textilunternehmer. Als das Elsass 1871 wieder einmal den Besitzer wechselte, entschied sich die Familie Dreyfus für Frankreich und zog nach Paris. Nach der Schulausbildung trat Alfred Dreyfus der französischen Armee bei und brachte es bis zum Artillerie-Hauptmann (frz. Capitaine). Seine Karriere wurde jedoch im Oktober 1894 jäh gestoppt, als er des Landesverrats beschuldigt wurde.
Eine französische Spionin hatte in der deutschen Botschaft ein Schreiben entdeckt, in dem ein unbekannter Angehöriger der französischen Armee der deutschen Seite Informationen - in erster Linie über die Artillerie - versprach. Aufgrund seiner Herkunft als Jude und Elsässer schien Alfred Dreyfus der ideale Verdächtige zu sein. In dem folgenden Prozess wurden Beweise gefälscht und Gutachten zu Dreyfus' Ungunsten erstellt. Das Interesse an einer Verurteilung Dreyfus' zog sich bis in höchste Politik- und Militärkreise. So äußerte sich etwa der Kriegsminister von der Schuld des Hauptmanns überzeugt. Auch die Medien hatten ihr Urteil schnell gefasst und bedienten in der Öffentlichkeit weitreichende antisemitische Klischees. Die Verurteilung erfolgte im Dezember 1894. Laut den Richtern war Alfred Dreyfus schuldig und sollte lebenslänglich auf die Teufelsinsel verbannt werden.
1896 kam wieder Bewegung in den Fall, als der wahre Verräter entdeckt wurde. Major Ferdinand Walsin-Esterhazy hatte vor allem aus finanziellen Gründen für die deutsche Seite spioniert. Doch damit war Dreyfus keineswegs rehabilitiert. In politischen und militärischen Kreisen hatte niemand daran Interesse, eigene Verfehlungen zuzugeben. Fortan spaltete sich das Land in Dreyfus-Befürworter und -Gegner. Den Höhepunkt erreichte die Dreyfus-Affäre im Januar 1898 mit dem öffentlichen Brief des Schriftsstellers Émile Zola an den französischen Präsidenten. In "J'accuse...!" (dt. "Ich klage an...!") legte er das Fehlen seriöser Beweise sowie die Fälschungen im Dreyfus-Prozess dar.
Wenngleich Dreyfus innerhalb kürzester Zeit verurteilt worden war, gestaltete sich seine Rehabilitierung erheblich langwieriger. Erst im Juli 1906 wurde Dreyfus endgültig freigesprochen, nachdem er bereits seit 1899 aus der Haft entlassen worden war. Alfred Dreyfus trat für kurze Zeit wieder ins Militär ein und nahm im Ersten Weltkrieg als Oberstleutnant teil.
Die Dreyfus-Affäre verdeutlicht zum einen das damalige Misstrauen gegenüber Elsässern als auch gegen Juden. Beide wurden von großen Teilen der Bevölkerung als potenzielle Landesverräter und Spione Deutschlands angesehen. Zudem ist die Dreyfus-Affäre im Hinblick auf die weitere Entwicklung des französischen Staates nicht zu unterschätzen. Die Auseinandersetzung zwischen reaktionären (insbesondere der katholischen Kirche) und liberalen Kräften hatte großen Einfluss auf die Säkularisierung und das seit 1905 gültige Prinzip des Laizismus (Trennung von Religion und Staat). Die nach Capitaine Dreyfus benannten Schulen und Straßen drücken somit auch das heutige Selbstverständnis der französischen Republik aus.
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